Buchbesprechung: R. Bersani, E. Peres, Matematica proverbiale November 24, 2015
Sie wollen sich auf einer Party unterhalten und die Fähigkeiten Ihres Gastgebers auf die Probe stellen. Dazu verteilen Sie eine Reihe von Münzen auf einem Tisch, drehen sich um und bitten den Gastgeber, jeweils zwei der Münzen umzudrehen. Das kann ruhig öfter, aber immer paarweise, geschehen. Dann bitten Sie den Gastgeber, eine Münze aufzunehmen, Sie drehen sich um, mustern die Münzen auf dem Tisch und sagen, ob die Münze Kopf oder Zahl zeigt. Magie? Nein, Mathematik. Stellen Sie sich vor, ein zum Tode Verurteilter soll noch eine letzte Chance erhalten. Er wird vor zwei Tore gestellt, die von riesige, grässliche, identisch aussehende Samurai bewacht werden. Man weiß, dass einer der Samurai stets lügt, der andere hingegen stets die Wahrheit sagt. Der Verurteilte muß jetzt eines der Tore wählen. Er darf dazu genau eine Frage stellen. Wählt er die richtige Tür, so wird er freigelassen, wählt er die falsche, so wird er dem Tiger, der dahinter lauert, vorgeworfen. Er wird freigelassen. Welche Frage hat er gestellt? Magie? Nein, Mathematik. Das Buch, um das es hier geht, widmet sich der Interpretation von Sprichwörtern im Licht der Mathematik; es tragt den treffenden Untertitel Concetti matematici nascosti tra le pieghe dei proverbi popolari. Es ist in der Tat überraschend, bei wievielen Sprichwörtern man einen verborgenen mathematischen Inhalt zu Tage fordern kann. Nehmen Sie zum Beispiel das Sprichwort “Man soll den ersten Schritt nicht vor dem zweiten tun”. Mithilfe dieses Sprichworts gelingt es in der Tat, eine Strategie zu finden, mit der Sie das Münzspiel erfolgreich spielen können. Der erste Teil des Buchs widmet sich solchen Sprichwörtern, bei denen der mathematische Gehalt unmittelbar ist oder recht einfach hergestellt werden kann. Der zweite Teil des Buchs befasst sich dann mit Sprichwörtern, bei denen man schon ein wenig Fantasie investieren muss, um Bezüge zur Mathematik herzustellen. Das Samurai-Beispiel ist diesem Teil entnommen, konkret dem Abschnitt “Not macht erfinderisch”. Der dritte Teil schließlich hat nur einige lose Bezüge zur Mathematik, hier haben die Autoren offenbar ihren Zettelkasten konsultiert und überlegt, wie man einige hilfreiche Anmerkungen zur Mathematik machen kann. Zum Beispiel kann man überlegen, dass sich hinter dem Sprichwort “Der Teufel ist nur halb so schwarz, wie man ihn malt” Zahlenmagie verbirgt, aber auch Überlegungen zu den Magischen Quadraten, wie man sie etwa in dem berühmten Holzschnitt Melencloia I von Albrecht Dürer findet. Des Buches recht kurzweilig geschrieben, sein Schwerpunkt liegt sicherlich nicht in der Schulmathematik, sondern eher in dem, was man früher Unterhaltungsmathematik nannte. Demzufolge spielen Spiele und ihre mathematische Analyse eine erfreulich große Rolle und helfen, den Text aufzulockern (eine umfangreiche Analyse ist etwa dem Problem gewidmet, drei Missionare und drei Kannibalen in einem Boot über den Fluss zu setzen, das nur zwei Personen fast). Nicht alle Sprichwörter sind im Deutschen vertraut, das macht aber nichts; die erforderlichen mathematischen Grundkenntnisse sind nicht zu hoch kalkuliert, so dass auch der viel zitierte mathematischer Laie das Buch mit Genuss lesen kann. Sprachlich ist das Buch gut zu beherrschen, wenn man über einige Grundkenntnisse der italienischen Sprache und die Neigung verfugt, sich mit gelegentlich ungewöhnlichen sprachlichen Konstruktionen, wie sie nun einmal bei Sprichwörtern unvermeidlich sind, auseinanderzusetzen. Ich habe gefunden, dass das Internet hier eine ganz ordentliche Hilfe ist. Übrigens habe ich das Buch übersetzt, wenn Sie mir also eine Notiz an math@doberkat.de schicken, will ich Ihnen den Entwurf der Übersetzung gern zukommen lassen (und um die Korrektur von Schreib- und anderen Fehlern bitten).
E.-E. Doberkat
*) Ponte alle Grazie, Milano, 2013; 262 + 15 Seiten; ISBN 978-88-6220-761-4
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