The Dream of Rome

Boris Johnson: The Dream of Rome. Harper Perennial, London, New York, Toronto and Sidney. Zweite Auflage, 2007

 Boris Johnson hat ja in der letzten Zeit ziemlich von sich reden gemacht, sei es in der Vorbereitung des Brexit, sei es durch seine nicht überall mit Beifall bedachte Ernennung zum britischen Außenminister. Es ist weniger bekannt, dass Johnson auch als Schriftsteller gearbeitet hat und möglicherweise auch noch arbeitet, zum Beispiel hat er eine Biografie über Winston Churchill veröffentlicht und einen Roman mit dem Titel „Seventy-Two Virgins“ vorgelegt. Er hat Altphilologie an einer der klassischen englischen Universitäten studiert, bevor er Journalist und dann Politiker wurde.

Das zu besprechende Buch befasst sich mit der römischen Geschichte, freilich nicht als kontinuierliche Erzählung, sondern eher als Überlegung, was sich aus der römischen Geschichte als Nutzanwendung für die gegenwärtige politische Situation ergeben könnte. Insofern ist es vielleicht vergleichbar mit dem Buch Der ferne Spiegel, in dem die Journalistin Barbara Tuchman in den achtziger Jahren den USA, die sich gerade von dem Trauma des Vietnamkriegs zu erholen begannen und in die Reagan-Jahre gingen, das Hochmittelalter als Spiegel vorgehalten hat. Freilich ist hier ein nicht unwesentlicher Unterschied zu bemerken: Frau Tuchman arbeitete als unbeteiligte Chronistin, während Boris Johnson ein aktiver Akteur ist. Das färbt natürlich seine Interessen und seine Darstellung. Er benutzt das Römische Reich und dessen Geschichte als Folie, vor der er die gegenwärtige europäische Entwicklung betrachtet, springt hin und her zwischen spezifischen Entwicklungen im Kaiserreich und der gegenwärtigen Situation in Europa, zeigt auf, dass die frapierende Einheitlichkeit des Kaiserreichs keinen Widerhall in der doch sehr stark diversifizierten europäischen Situation findet. Insbesondere dieser letzte Aspekt wird vertieft, er zeigt auf, wie sich in ökonomischer, kultureller, gesellschaftlicher und religiöser Hinsicht im Römischen Reich eine Einheitlichkeit entwickeln konnte, von der wir in Europa gegenwärtig nur träumen können. Dies betrifft auch und gerade die religiöse Toleranz, deren Entwicklung er abrupt durch die Einführung des Christentums unter Konstantin gestoppt sieht. Der Islam wird als schmerzhaft deutliche Komponente der gegenwärtigen Entwicklung kritisch beleuchtet, wobei auch die Entwicklung der christlichen Kirchen als Agens bei der Vereinheitlichung von Europa erheblich Federn lassen muss. Die allzuoft von Politikern angeführten gemeinsamen europäischen Werte werden doch sehr fragend unter die Lupe genommen und halten einer kritischen Nachprüfung ebenso wenig stand wie entsprechende Entwicklungen im Islam. Johnsons Traum besteht in der Entwicklung einer europaweiten kulturellen Identität (er schlägt vor,  das vierte Buch der Aeneis des Vergil oder einen ähnlichen Text verpflichtend zum Unterrichtsstoff in allen Schulen in Europa zu machen), er träumt auch davon, dass sich Christentum und Islam zu einer gemeinsamen politischen und kulturellen Plattform zusammenfinden (das war zwar schon zwischen Ost- und Westkirche im Konzil zu Ferrara und Florenz um 1430 nicht erfolgreich, deshalb wird es wohl ein Traum bleiben).

Das Buch ist außerordentlich lebendig geschrieben, der Stil ist nicht allzu literarisch, man stellt sich vor, dass er die flapsige Qualität des lockeren Gesprächs zwischen Gebildeten hat. Natürlich finden sich lateinische Zitate an vielen Stellen, sie werden jedoch, soweit ich sehen konnte, sehr sorgfältig übersetzt, so dass es kein Schaden ist, wenn man das Schullatein verdrängt hat. Insgesamt lohnt es sich, das Buch zu lesen, hilft es doch, über Europa aus vielleicht ungewöhnlicher Sicht nachzudenken. Das Römische Reich bietet eine interessante Folie, das wird in diesem Buch mehr als deutlich.

 

Dr. Ernst-Erich Doberkat